Herzstück der Brücke mit unverkennbarem Wiedererkennungswert ist unzweifelhaft der 170m spannende Bogen über die Wupper, der im Freivorbau errichtet wurde. Er wurde von beiden Widerlagern auf Remscheider und Solinger Seite aufeinander zu gebaut, sodass sie sich in der Spitze treffen. Gleiches galt für den Überbau, auf dem heute die Schienen liegen.
So ist die Konstruktion wie wir sie heute finden nicht nur das Ergebnis statischer oder ästhetischer Erwägungen. Der Brückenbogen ist das Ergebnis einer Konstruktionsweise, die dem Bauherrn enorme Kosten sparen konnte und dennoch ein leistungsfähiges Endergebnis liefert. Diese Bauart war bei der Erbauung revolutionär und man greift nicht zu hoch, wenn man es als Pionierleistung im Ingeneurswesen bezeichnet. Bis dato errichtete man bei einem Vidadukt eine entsprechende Unterkonstruktion. Diese hält die Bögen so lange halten, bis die Vereinigung die Selbsthaltekräfte wirken lässt.
Der sogenannte Freivorbau, der heute im Brückenbau allgegenwärtig ist, machte all dies obsolet: Die Bücke konnte sich selbst halten.
Freivorbau am Beispiel der Müngstener Brücke
Anton von Rieppel plante, und dies war die eigentliche Sensation und wegweisende Ingenieursleistung an der Müngstener Brücke, dieses neue Verfahren des freien Vorbaus und griff mit Konstruktion als Bogenbrücke einen nicht veröffentlichten Entwurf der Eisenbahndirektion Elberfeld auf. Ob er ihn kannte ist nicht überliefert. Überliefert ist, dass die Eisenbahndirektion Elberfeld eine Bogenbrücke bevorzugte, Berlin aufgrund der zur erwartenden Kosten aber ablehnte.
Rieppel gelang mit dem Freivorbau nun das Kunststück zum einen das Bedürfnis Elberfelds nach einer Bogenbrücke zu befriedigen, zum anderen konnte er auch Berlin gnädig stimmen. Die Kosten, die MAN aufwarf, waren günstiger als alle Angebote der Konkurrenz bei favorisierter Bauart der Brücke. Sei es Zufall oder unternehmerisches Geschick gewesen sein: Die Müngstener Brücke durfte eine filigrane Bogenbrücke werden.
Das Prinzip des Freivorbaus
Rieppel erarbeitete und errechnete am Schreibtisch eine Methode, welche teure Stützbauten unnötig machte. Seine Konstruktion und Bauweise ermöglichte, zunächst nur in der Theorie, eine Brücke die sich schon während des Baus selbst tragen konnte. Dafür hat er in der frühen Bauphase bereits Rückverankerungen vorgesehen, die tief ins Bergische Massiv geschlagen wurden. Der Tonfels Boden des Schaberger Hangs bot hier ideale Voraussetzungen.
In der Brücke selbst wurden temporäre Anker eingearbeitet, die, solange die Brückenbogen noch frei hingen, diese Kraft über den Überbau (Trasse) hin zur Rückverankerung entlasteten. Er ließ die Brücke so bauen, dass sie sich jederzeit selbst trug, auch wenn sie bis zur Vollendung lange in Wind und Wetter im wahrsten Wortsinn in der Luft hang.
Es wird deutlich, dass Rieppel sich eindeutig auch aus Gründen der Montierungsweise und der damit einhergehenden Kostenersparnis für eine Bogenbrücke entschieden hat, die heute in Müngsten steht. Die Rückverankerungen in den Boden sowie die nötigen Querstreben im Stahlgerüst der Brücke wurden nach Fertigstellung der Brücke wieder entfernt. Auf historischen Postkarten und Fotografien, die während der Bauzeit der Brücke entstanden sind, kann man die Haltestreben sehr gut sehen.